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Das verfluchte Geschlecht (Frauen in islamischen Gesellschaften)

Stern Heft 49, 05. Dezember 1965

Die Welt des Islams, eine halbe Milliarde Menschen: Mehr als die Hälfte dieser Menschen leben heute noch wie Sklaven: die Frauen. Jeder Mann kann vier heiraten und sich so viele Konkubinen halten, wie er will. Die Frau aber muß keusch sein bis zur Ehe und treu bis ins Grab. Sie muß ihre Formen verhüllen und darf das Gesicht nur ihrem Mann zeigen. Ein Fehltritt kann den Tod bedeuten. Nur die moderne Stadtjugend versucht trotzig, mit den Traditionen zu brechen.

Die Frau ist sündhaft, minderwertig, unrein. Sie besitzt weniger Gehirn als der Mann und bleibt deshalb zeitlebens unter seiner Vormundschaft. Vor dem Gericht der Menschen gilt ihre Stimme nur halb soviel wie das Zeugnis eines Mannes. Vor Gott desgleichen. Er zwingt sie mithin weder zum Gebet noch zum Besuch der Moschee. Es genügt, den Mann anzubeten, den Mittler zwischen ihr und Gott.
Ihre Unreinheit ist übertragbar. Genau wie der Schmutz von Hunden und Schweinen. Kein Mann sollte eine Frau berühren. Wenn es ihn doch dazu treibt, muß er sich anschließend von oben bis unten waschen. Nur völlig vom Weibe gereinigt, darf er wieder beten und vor das Antlitz seines Gottes treten.

Das ist kein Greuelmärchen. Ich zeichne nur in rohen Strichen die seelische Landschaft, in der die Frauen der islamischen Welt leben müssen. Zwischen Marokko und Pakistan. Das Zentrum bilden die Araber.
Die Ideen wurden von den Schriftgelehrten des Islams formuliert – den Ulemas. Genau wie einst die christlichen Kirchenväter die Bibel erklärten, so haben sie den Koran ausgelegt, um den weniger gelehrten Menschen allgemeingültige Lebensregeln zu schenken. Dabei hat die Frau besonders schlecht abgeschnitten. Die Überlegenheit des Mannes hingegen wurde zum gottgewollten Gesetz.
Heute nehmen die Ulemas nach wie vor zu allen Fragen des Lebens Stellung. Ihre Hochburg ist die islamische Universität el-Azhar in Kairo. Noch heute klingen ihre Entscheidungen wie Dogmen aus dem Mittelalter: „Es ist verboten, sein Blut zur Rettung eines Freidenkers zu spenden.“ – „Der Intellekt der Frau reicht keineswegs aus, um ihr irgendwelche öffentlichen Ämter anzuvertrauen.“

Trotzdem sitzen heute weibliche Abgeordnete im ägyptischen Parlament, und Frauen bekleiden hohe Posten in mehreren mohammedanischen Ländern. Alle Regierungen wissen, daß es vorwärtsgehen muß, und dazu gehört die Gleichberechtigung der Frau. Aber immer wieder stoßen sie auf den fanatischen Widerstand der Ulemas.

Als der Schah von Persien vor zwei Jahren den Frauen das Wahlrecht schenkte, zettelten die Mullahs (so heißen die Schriftgelehrten in Persien) eine Revolte an, die in Teheran allein über tausend Opfer forderte.

In Ägypten wurde die Beschneidung junger Mädchen verboten. Ohne Erfolg. Die Ulemas unterstützen weiterhin alle Väter, die ihre Töchter verstümmeln lassen.

Der einzige, der ihnen erfolgreich widersteht, ist der tunesische Staatspräsident Burgiba. Er hat es sogar fertiggebracht, die Vielweiberei abzuschaffen. Vor einigen Wochen noch untersagt er:

  • die Frauen absichtlich mit Nudeln zu mästen (Brautpreise werden oft nach Gewicht gemessen);
  • Frauen in dunkle Zimmer zu sperren – was in vielen Teilen der arabischen Welt praktiziert wird, um die Haut zu erhellen und die Formen zu runden.

Burgiba gehört zu den wenigen Ausnahmen. Die meisten führenden Männer der islamischen Welt sind selbst noch in den alten Vorurteilen verstrickt – weniger in den religiösen, als vielmehr in dem eingefleischten Glauben an die Überlegenheit des Mannes. Wenn sie der Frau Rechte einräumen, dann handeln sie logisch im Sinne des Fortschritts – es bedarf jedoch jedesmal der Vergewaltigung ihrer tiefsten Überzeugung.

So kennen zum Beispiel die Marokkaner nicht das Gesicht ihrer Königin, obgleich ihr Mann ein junger Monarch ist, der in Rom, Paris und Cannes im modernsten Playboy-Jargon „Starlet-Bagger“ genannt wurde.

Während die verantwortlichen Männer nur mit halbem Herzen dabei sind, kämpfen Frauenorganisationen seit Jahrzehnten fanatisch um die Rechte der Frau. Es gab Straßenschlachten in Bagdad, Hungerstreiks in Kairo, Selbstmorde in Algerien und Protestmärsche in Pakistan. In den Städten haben sie den Frauen die Tür zum Beruf geöffnet und die Einehe im Mittelstand populär gemacht.

In der traditionellen Welt des Islams tanzen Mann und Frau nie zusammen. Nur Vergnügungsdamen, wie die Bauchtänzerin, dürfen sich den Männern zeigen. Und dann wird es oft obszön

Auf dem Lande jedoch verweht ihre Stimme ungehört. Selbst wenn die Machthaber ihnen manchmal das Radio zur Verfügung stellen, um weite Kreise der Bevölkerung für moderne Lebensformen zu gewinnen. Dann spricht nicht Frau zu Frau. Dann hört der Mann in seinem Transistor, was diese „reichen, geschminkten, halbnackten, unmoralischen Weiber“ zu sagen haben, und er jagt seine eigenen in die hinterste Ecke der Hütte, damit sie ja kein Wort davon erhaschen.

Lassen wir deshalb die großen Städte zunächst beiseite. Besonders die vornehmen Viertel mit entschleierten Damen. Sie sind nicht typisch. Hier würden wir nur in moderne Schaufenster blicken, in den Gleichberechtigung in erster Linie als Zügellosigkeit verstanden wird.

Achtzig Prozent aller islamischen Frauen leben in einer Welt, die so aussieht:
Ort: die irakische Wüste zwischen Babylon und Basra.
Personen: ein französischer Dominikaner (Archäologe), ein Schweizer Architekt, Claude Deffarge und ich.
Transportmittel: ein Auto.
Situation: katastrophal – Sturm, Regen. Der Wagen will nur noch im ersten Gang fahren. Stopp, Panne, Schluß, aus.

Wir sitzen und warten. Plötzlich sehen wir ein Kamel mit Reiter, zwei Esel mit Reitern, einen Menschen zu Fuß.
„Rettung“, seufzt der Schweizer und leckt den Schweiß aus seinem Schnurrbart.
„Die verstehen von Motoren noch weniger als wir“, klärt uns der Dominikaner auf.
Der Mensch zu Fuß ist eine Frau. Ihre Hände sind gefesselt. Unser Dominikaner schlägt nicht das Kreuz. Er rast durch den Sturm und hält die Karawane an. Da er der einzige ist, der den Dialekt der Gegend perfekt spricht, reden wir uns ein, dort nichts zu tun zu haben.
Plötzlich rennt auch Claude davon. Nach zehn Minuten kommen beide zurück. Claude hat Tränen in den Augen.

Der Dominikaner erklärt: Diese drei Männer sind von einem Kaufmann aus Diwaniya bezahlt worden, um seine Tochter zu finden. Sie war davongelaufen und lebte angeblich in wilder Ehe in Basra. So war es auch. Einer der Männer hatte den präzisen Auftrag, sie umzubringen. Im letzten Augenblick fehlte ihm jedoch der Mut. Vielleicht war auch der versprochene Lohn nicht hoch genug. Jedenfalls waren sie zu dritt übereingekommen, das Mädchen nach Hause zu bringen, damit der Vater nach Ansicht und Verhör entscheiden könne.
„Und was wird passieren?“ frage ich den ortskundigen Dominikaner.
„Sie wird getötet.“

Im Wagen ist es still. Niemand wagt den anderen anzuschauen. Wir fühlen uns mitschuldig an einem Mord. Plötzlich ruft Claude: „Wir sind doch stärker als die. Laßt uns die Frau befreien. Kommt!“
Sie rennt wieder davon.
„Halt“, ruft der Dominikaner.
„Sie sind wohl verrückt“, grollt der Schweizer.
„Komm zurück“, bitte ich.
„Feiglinge“, schluchzt Claude. „Hier wird eine Frau zum Tode verurteilt, weil sie liebt und ihr wollt nichts unternehmen.“
„Glauben Sie mir“, sagt der Dominikanermönch, „hier können wir nichts machen.“
„Mir ist kalt“, beklagt sich der Schweizer. Wir frieren alle – bei 40 Grad im Schatten.

Nach zwei Stunden Schweigen kommt endlich ein Lastwagen vorbei und schleppt uns ab.
Dieser Mord ist kein Einzelfall. Während meines zweijährigen Aufenthaltes im Mittleren Orient habe ich Dutzende ähnliche Fälle erfahren und einige selbst erlebt.

Ich kannte in Beirut sogar einen professionellen Mörder, der viele Mädchen umgebracht hatte, obwohl er hauptsächlich in der Politik tätig war. Er half Politikern, ihre Gegner zu erpressen oder umzubringen. Dafür gewährten sie ihm Protektion und gaben ihm Geld. Einen meiner Freunde, den Direktor eines großen Hotels, sprengte er mit einer Plastikbombe in die Luft.

Aber neben der Politik hatte dieser Mann ein Hobby: die Ehre. Auf diesem Gebiet arbeitete er kostenlos. Wenn ein Vater ihm vorweinte, daß seine Tochter die Ehre der Familie besudelt habe, machte er sich auf den Weg und erstach sie. In seinen Augen erkaufte er sich so den göttlichen Pardon für seine übrigen Verbrechen. Er war ein „Ehrenmann“.


Neben der jungen und der reichen Städterin kennt nur die Nomadin eine gewisse Freiheit. Die Härte des Daseins zwingt den Mann, sie als Kameradin zu behandeln

Strip-tease vor der Schwiegermutter

Ich erfuhr diese Einzelheiten im Hause meines inzwischen von diesem Mann ermordeten Freundes. Dort erschien der Mörder von Zeit zu Zeit, um zu drohen und zu erpressen. Wenn er unter dem Einfluß von Haschisch stand, nahmen die Erzählungen seiner blutigen Ehrenbereinigungen kein Ende. Sie gehörten sozusagen zur Technik seiner Erpressungen. Und zu befürchten hatte dieser Herr auch nichts, denn er stand unter hoher Protektion. Wenn ich mich recht erinnere, wollte er 37 Mädchen umgebracht haben.

In der islamischen Welt sind Fehltritte von Jung- und Ehefrauen keine Sünden im christlichen Sinne. Die Erbsünde ist hier kein Begriff, Mohammed empfiehlt sogar, den Durst der Sinne in großen Zügen zu stillen. Er empfiehlt es dem Mann und besteht keineswegs auf Treue. Jedem erlaubt er vier offizielle Frauen und so viele Konkubinen, wie er sich leisten kann.

Die Frau hingegen darf ihr Gesicht nur jenem zeigen, dem ihr Vater sie geschenkt oder verkauft hat. Unmündig bis ans Ende ihres Lebens, hat sie kein Recht, über sich und ihre Gefühle zu bestimmen. Die Verantwortung ihres Handelns liegt ausschließlich beim Vater oder Mann. Mithin ist seine Ehre im Spiel, wenn sie nicht mehr willenloser Gegenstand sein will, sondern ganz einfach ein Mensch.

Also wird sie eingesperrt, verhüllt, terrorisiert. So will es des Mannes Ehre. Der zentrale Punkt des Terrorismus ist natürlich die Jungfräulichkeit. Das Mädchen darf um Gottes willen nicht wild herumtollen, radfahren oder gar Gymnastik treiben. Geschieht trotzdem ein Unfall, der die „Ehre“ verletzt, muß sofort ein Arzt schriftlich Zeugnis ablegen, daß es nicht etwa ein Mann, sondern Allahs Hand war, die hier im Spiel gewesen ist. Das Zeugnis wird dann überall herumgereicht. Alle müssen wissen, was passiert ist, damit ein Alibi für den zukünftigen Mann geschaffen wird.

Wenn der dann endlich gefunden ist, wird das Mädchen ins Bad geschleppt, wo Mutter, Tanten, Großmütter und Schwestern des Zukünftigen sie sorgfältig untersuchen. Das Haar, die Augen, die Nase, die Zähne, den Atem. Alles wird beschaut, betätschelt, berochen. Die Brüste, der Leib – von hier an übernimmt eine Hebamme die Untersuchung.
Was einem so behandelten Mädchen Liebe und Mann noch bedeuten können, möchte ich gern wissen.

Schock in der Hochzeitsnacht

Aber nicht genug damit. Wenn die von Experten untersuchte „Ware“ (sie wird hoch bezahlt – und wer kauft schon eine Katze im Sack?) als einwandfrei befunden worden ist, kann geheiratet werden.


Der Traum steht im Schaufenster. Unerreichbar für einfache Frauen. Für sie ist die Hochzeit kein Fest, sondern eine Vergewaltigung

Der große Augenblick ist meistens ein unauslöschbarer Schock für die Frau. Es gibt Länder, in denen es sich so abspielt: Die Braut wird in ein Zimmer geführt, ausgezogen und aufs Bett gelegt. Die Frauen beider Familien stehen herum. Dann kommt der Bräutigam. Stolz und mit dem Mut einiger Haschisch-Zigaretten. Er, der wahrscheinlich noch nie eine Frau so gesehen hat, muß jetzt vor versammelter Mannschaft die letzte Kontrolle der erstandenen „Ware“ durchführen. Mit seiner Hand durchbricht er das Siegel der Reinheit. Blut fließt. Die Weiber jubeln. Und während die Braut weinend zusammenbricht, wird das Bettlaken triumphierend zu den wartenden Gästen getragen. Die Ehre der Familie kann nicht besser bewiesen werden. Seht her, was für wundervolle Menschen wir sind! Wir haben unsere Tochter unberührt in die Hände ihres Mannes gelegt.


Mädchen in den Städten träumen davon, einen Beruf zu erlernen. Denn nur die materielle Unabhängigkeit erlaubt es ihnen, über Liebe und Leben selbst zu entscheiden

Ja – da liegt sie nun. Und was jetzt noch passiert, kann nur noch ein Alptraum sein.

Der Mann ist vielleicht zwanzig oder fünfundzwanzig. Von Kindheit auf hat man ihm eingepaukt, daß Frauen minderwertig sind und natürlich verboten. Als seine Sinne erwachten, fühlte er sich unwiderstehlich zu diesen Wesen hingezogen. Sie blieben tabu. Je älter er wurde, um so dichter knüpfte man den Vorhang zwischen ihm und ihnen – und um so stärker wurden seine Neugierde, sein Verlangen.
Wenn es unerträglich wurde, stürzte er sich in die Arme gleichaltriger Freunde, um ein wenig Ruhe zu finden.
Und die begehrte Frau wurde zum verhaßten Weib. Zu jener, die Träume weckt, aber nicht erfüllt. Zum verachteten Feind.

Alles: Denken, Handeln, Hassen, Träumen – konzentriert sich auf die Frau. Auf das Verbotene, Geheimnisvolle und doch so irritierend Anziehende. Die sexuellen Impulse können jedoch nicht einfach abgestellt werden wie das elektrische Licht. Sie stauen sich und steigen langsam in den Kopf.
Als einzige Kompensation bietet man dem so gefolterten Mann die Ehre, das heißt, die Aufgabe, seine Schwester vor jenen Gefühlen anderer Männer zu schützen, die ihn selbst innerlich auffressen. Er tut es mit äußerster Brutalität, um so mehr, als alle verdrängten Triebe sich heimlich auf die Schwester übertragen haben – auf das einzige Mädchen, das er ungestraft sehen und berühren darf.

„Es ist entsetzlich“, gestand uns ein junger Syrer, Psychiater von Beruf. „Wir leiden alle unter Sexualpsychosen. Unser ganzes Verhalten wird dadurch bestimmt. Unsere Arroganz, unsere Feigheit, unsere Brutalität, unsere Unsicherheit und – wenn Sie es wissen wollen – unsere Politik. In meiner Praxis habe ich es nur mit sexuellen Psychopathen zu tun. Wir sind hysterisch, sexbesessen, völlig aus dem Gleichgewicht.“
So also – sextrunken und unsicher – findet der Bräutigam plötzlich eine Frau vor sich, die er eben durch brutalen Griff zu seinem Eigentum gemacht hat. Selbst in Gegenden, in denen die Hochzeitsnacht weniger öffentlich und barbarisch beginnt, wird die Frau jetzt vergewaltig. Anders kann man es nicht bezeichnen, wenn zwei fremde, auf die Liebe völlig unvorbereitete Menschen sich plötzlich gegenüberstehen und der eine nun das ausschließliche Verfügungsrecht über den anderen besitzt.
Wer das einmal von einer arabischen Frau erzählt bekommen hat, der vergißt den Schauer nie wieder, der ihn beim Zuhören überlief.
Für die Frau ist diese Hochzeitsnacht nur eine Vergewaltigung unter vielen. Wenn sie als Mädchen für den Mann dressiert wird – ich sage bewußt dressiert und nicht erzogen – also: wenn sie abgerichtet wird, das gehorsame Geschöpf eines Mannes zu werden, muß sie neben der seelischen Vergewaltigung auch eine körperliche Verstümmelung ertragen : die Beschneidung.
Sie wird nicht in allen arabischen Ländern vorgenommen. Die meisten Regierungen haben sie in den letzten Jahren verboten. Trotzdem müssen Millionen Mädchen heute noch diese Operation ertragen. Besonders in Ägypten, im Sudan, im Irak und in Saudi-Arabien.

Vor einigen Wochen haben wir im STERN beschrieben, was diese Operation in Afrika bedeutet. Dort ist sie das höchste Symbol der Frauwerdung. Sie besteht in der Entfernung jenes winzigen Körperteils, der als verkümmertes Zeichen der Männlichkeit angesehen werden mag. Sie wird vollzogen, wenn das Mädchen bereits erwachsen ist, den Mann kennt und die Erotik für sie keine Geheimnisse mehr hat. Es ist ein Ritus, gewollt und stolz ertragen, ein großes Fest der Weiblichkeit, an dem der ganze Stamm teilnimmt, ein Ritus, bei dem weder Scham noch geschlechtliche Überlegungen eine Rolle spielen.

Bei den Arabern ist das nicht so. Hier wird der Eingriff mit der Absicht vollzogen, eine sexuelle Beschränkung zu erzielen. Er wird bereits unternommen, wenn das Mädchen sehr jung ist und wahrscheinlich noch nie von einem Jungen geträumt hat. Genau das nämlich will man vermeiden. Das unschuldige Kind soll nicht einmal selbst entdecken können, daß es Zonen seines Körpers gibt, mit deren Berührung angenehme Empfindungen verbunden sind.

Die Clitoridectomie, wie man diese Operation in Fachkreisen nennt, wird vom Volk als „ sexuelle Erblindung“ bezeichnet. Die Leute sind überzeugt, hierdurch die Erhaltung der Tugend zu erleichtern. Neben den sozialen Tabus und der seelischen Dressur des Mädchens soll auch die frühzeitige körperliche Entweibung die Ehre der Familie sichern und das Glück des zukünftigen Mannes garantieren.

Ehrlich gesagt, es ekelt mich, über diese Dinge schreiben zu müssen. Nicht über den sexuellen Aspekt. Er ist weder moral- noch jugendgefährdend. Nein. Daß Frauen, das heißt Menschen, von der Wiege bis zum Grabe wie Tiere behandelt werden, weil eitle Männer ihre „Ehre“ sichern wollen – das scheint mir unerträglich. Und dabei habe ich noch nicht einmal von der Infibulation gesprochen, einer weitaus grausameren „Sicherheitsmaßnahme“ des Mannes, die in gewissen Gegenden der arabischen Welt praktiziert wird. Ich kann es nicht. Mir fehlen einfach die Worte, um diese Operation einigermaßen anständig zu beschreiben.

„Was ich vorher beschrieben habe, mußte jedoch gesagt werden, wenn der Leser auch nur annähernd verstehen soll, wie das Leben der meisten mohammedanischen Frauen aussieht. Ich habe lange genug in diesen Ländern gelebt – und zwar nicht in Cocktail-Gettos der westlich geschminkten Großstädte -, um sagen zu können, daß dort wirklich die Hölle der Frauen ist.

Ich kenne auch die Männer dieser Länder gut genug, um zu wissen, daß sie jetzt auf die Barrikaden gehen, mir Visen verweigern und mich der Lüge bezichtigen werden. Daran habe ich mich langsam gewöhnt. Sobald man die Beziehung des Mannes zur Frau kritisiert, bekommt man mehr Schwierigkeiten, als wenn man eine Nation des Völkermordes bezichtigt. Seine Frau behandelt eben jeder „richtig“ – das ist sein Privatleben. Wer das in Frage stellt, ist keineswegs jemand, der auch in der Frau einen Menschen sieht und sie als solche behandelt sehen möchte, sondern ein Schwein, ein Dreckskerl und im Kampf der Geschlechter ein gemeiner Verräter.

Süchtige Männer, frigide Frauen

Wie dem auch sei – was die Araber und andere Mohammedaner angeht, so sage ich nur in gemäßigten Worten, was viele ihrer Schwestern und Frauen – sobald sie die Gelegenheit haben – anklagend hinausschreien.

Und man soll mir ja nicht vorwerfen, daß ich die mohammedanische Religion angreife. Im Koran stehen genügend Verse, die der Frau ein besseres Los auf Erden versprechen. Dort steht auch geschrieben, daß es verboten ist, sein Geld zu verzinsen. Und doch kenne ich kaum eine Gegend der Welt, wo der Wucher die Menschen so versklavt wie in den Ländern islamischen Glaubens. Nein, ich greife keine Religion an, ich kritisiere nur, was Männer je nach Laune und Vorteil daraus machen, und wie sie sich scheinheilig auf heilige Schriften berufen, um ihre Verbrechen an der Frau zu tarnen.

Im übrigen ist der Mann selbst das Opfer seiner „traditionellen Haltung“ gegenüber der Frau. Besonders in den Städten, wo er jetzt modern leben will, zur Einehe neigt und den westlichen Begriffen der Liebe folgen möchte. Hier wird plötzlich seine Sexualpsychose zum Hindernis ehelicher Harmonie. Die Frau ist beschnitten und er „überspannt“. Es kann nie zum Einklang kommen. Und er greift zum Haschisch, einem Rauschgift, das mutig macht und die männlichen Fähigkeiten steigern soll. Aber nichts passiert. Immer mehr Haschisch wird genommen. Ohne Erfolg. Ich übertreibe nicht: Im Jahre 1958 wurden in Ägypten 12 Prozent des nationalen Einkommens für Haschisch ausgegeben. In den übrigen Ländern ist es kaum anders.

Der Mann zahlt den Preis seiner Selbstherrlichkeit. Der sexuelle Minderwertigkeitskomplex ist zur Epidemie geworden, die – über den Haschisch – jetzt sogar die Volksgesundheit bedroht.

Arabische Schriftsteller und Journalisten der neuen Welle sind überzeugt, daß die Beschneidung der Frau für den fehlenden Einklang verantwortlich ist. Unsinn – in Afrika zeigt sich, daß beschnittene Mädchen nicht weniger zufriedene Ehefrauen werden können als ihre unbeschnittenen Schwestern.

Was die Harmonie dieser Ehen in Frage stellt, hat nichts mit körperlicher Verstümmelung zu tun. Verantwortlich ist die Jahrhunderte dauernde Vergewaltigung der weiblichen Seele. Es sind die seelischen Schocks, die Dressur zum Objekt, welche die Frau zur Frigidität verurteilen. Sie liegt in der Seele und nicht im Leib. Genau wie die Haschisch-Manie der Männer nicht nötig wäre, wenn ihr Hirn nicht mit sexuellen Verdrängungen geladen wäre, die bei der ersten Gelegenheit explodieren. Oder schon vorher peinliche Kurzschlüsse auslösen.

Während ich diesen Artikel schreibe, erhalten wir einen Brief von einer Deutschen, die mit einem Türken verheiratet ist. Wahrscheinlich hat sie ihn in der Bundesrepublik kennengelernt, als er hier studierte. Also ein gebildeter Mann. Trotzdem bittet diese Frau, die unsere Serie „Die Frauen dieser Welt“ liest, ihr zu erklären, wie sie ein „Wahrheitsserum“ benutzen könnte. Um ihre Ehe zu retten, will sie ihrem Mann damit beweisen, daß sie nichts verschweigt und keine „Vergangenheit“ hat, auf die er eifersüchtig zu sein braucht. Solange sie diesen Beweis nicht erbringt, scheint diese Frau verurteilt zu sein, in der Hölle zu leben.

Aber selbst wenn wir ein Mittel schicken könnten, mit dem sie den Mann von ihrer vorehelichen Unschuld überzeugt, würde sich nichts ändern. Solange bei Mohammedanern das Vorurteil überwiegt, daß die Frau ein minderwertiges Wesen ist, sind die Chancen für einen harmonische Einehe gering. Die Lösung liegt weder im „Wahrheitsserum“ noch im haschischgesteuerten Versuch, körperliche Rekorde aufzustellen, sondern in der Suche nach einer neuen inneren Haltung zur Frau.

Die Sexualität ist ein Dialog, und dort, wo dieses Zwiegespräch nicht zwischen gleichwertigen Partnern geführt wird, ist sie wirklich eine Sünde – eine Sünde gegen die Frau

Mit dieser Folge verabschieden sich Gordian Troeller und Claude Deffarge vorläufig. Nach Rückkehr von ihrer Fernost-Reise werden sie über die Probleme der Frauen in Thailand, China und Japan berichten.

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