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Ein Schah, drei Kaiserinnen – und was dahinter steckt III

Stern, Heft 45, 5. November 1960

Persien ist nicht der Schah. Persien ist nicht das Öl. Persien ist auch nicht Teheran und noch weniger „Tausendundeine Nacht“. Persien, das sind fünfzehn Millionen Bauern in Not, eine Million Nomaden in Lumpen, drei Millionen Städter im Elend – und vielleicht eine Million Menschen, die satt werden. Persien ist auch eine der heißesten Fronten des Kalten Krieges. Ein Land, in dem sich die Zukunft Asiens entscheiden wird und in dem Rußland die Armut zum Verbündeten hat und der Westen die Korruption.

Der Schah verteilt Dörfer nicht umsonst.
Bauern müssen zahlen –
und küssen ihm dafür die Füße 

Was der Schah nicht gerne hört

Er stand am Straßenrand und weinte. Der dicke Staub, den unser Wagen aufwirbelte, flog ihm ins Gesicht und vermischt sich mit seinen Tränen. Aber er schützte sich nicht. Die Hände blieben wie leblos auf den Stock gestützt, den er vor sich die Erde gebohrt hatte. Er stand da, das weit offene Gesicht zum Himmel erhoben, als wollte er Gott seine Tränen zeigen.
Wir steigen aus.
„Allah schickt euch“, sagt der Mann. „Seit drei Tagen ist niemand hier vorbeigekommen.“
„ Wasser?“ frage ich.
„Nein, wir haben Wasser. Nicht weit von hier ist eine Quelle. Aber essen – bitte essen.“
Marie-Claude hat schon den Proviantkoffer herausgenommen, den wir auf diesen großen Fahrten immer mithaben und öffnet einige Konserven.
„Langsam“, ermahne ich sie, „gib ihnen nicht zu viel. Die sind am Verhungern.“
Nur widerstrebend läßt die Frau den Stein los. Der Mann zieht sie zu uns herüber und nun sitzen sie beide auf der Erde und essen. Er heißt Hossein, sie heißt Fatima.
Sie sind die ersten Menschen, die wir seit heute morgen getroffen haben. Jetzt ist es fünf Uhr nachmittags. Wir sind in einer der wildesten Gegenden Persiens, in Laristan zwischen Bander Abbas und Lar, nicht weit vom Persischen Golf. Hier kommt nur einmal in der Woche ein Postauto vorbei, manchmal eine Karawane. Auch gestern hatten wir nur einen Mann getroffen, der uns um Zucker und Streichhölzer gebeten hatte.

Suche nach Wasser. Eines der Hauptprobleme Persiens ist Wasser. Der Boden ist sehr fruchtbar, und selbst die Wüste kann zum Garten werden, wenn Wasser gefunden wird. Eines der ältesten Systeme ist das Kanat: unterirdische Tunnel, die in den Bergen das Grundwasser anzapfen und es in leichtem Gefälle an die Dörfer heranführen. Solche Tunnel sind in Persien häufig viele Kilometer lang

Suche nach Schatten. Wenn die Nomaden auf ihren Wanderungen Bäume finden, drängen sich die Schafe in den Schatten und Kinder knüpfen sich primitive Schaukeln. Seit Jahrhunderten ist Persien rücksichtslos abgeforstet worden. Vom Persischen Golf bis zur Hochebne Mittelpersiens, auf tausend Kilometer langer Wanderung kennen die Nomaden jeden Baum, jeden Schatten

Nachdem unsere neuen Bekannten ihren ersten Hunger gestillt haben, fragen wir sie, wo sie hin wollen.
„Nach Tschadrun“ antwortet Hossein.
„Da sind wir nicht vor morgen abend.
„Wir sind schon drei Wochen unterwegs“, sagt er, und sein von Hunger und Sonne ausgetrocknetes Gesicht verzieht sich zu einem schmerzhaften Lächeln. „Können Sie schreiben?“ fragt er mich nach kurzer Überlegung.
„Aber nur mit lateinischen Buchstaben.“
„Das macht nichts. Bitte schreiben Sie auf diesen Stein Ali Ahmadi.“
Ich nehme Hammer und Schraubenzieher aus unserer Werkzeugkiste und meißle den Namen so gut ich kann in den großen runden Stein. Unsere beiden Begleiter schauen stumm zu. Als ich fertig bin, fährt Fatima zärtlich mit dem Finger über den Namen von rechts nach links, wie die Perser schreiben.
Wir brechen auf. Zwei Tage lang sind Hossein und Fatima unsere Begleiter. Dieses ist ihre Geschichte:
Sie waren Bauern gewesen, in Ahmadabad, einem Dorf südwestlich von Kerman. Dort hatten sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet, wie ihre Eltern vor ihnen. Ihr genaues Alter kannten sie nicht. Er war ungefähr fünfundvierzig. Sie vielleicht dreißig.
Wie in den meisten Dörfern Persiens erhielten sie dreißig Prozent der Ernte, die sie selbst einbrachten. Die übrigen siebzig Prozent gingen an den Großgrundbesitzern, der in der Stadt wohnte und seinen Anteil von einem Verwalter eintreiben ließ. Wenn das Jahr gut war, kamen Hossein und Fatima mit ihren dreißig Prozent aus. Meistens reichte das jedoch nur für neun oder zehn Monate aus. Dann mußten sie den Besitzer ihres Dorfes um zusätzliches Korn bitten, denn sonst hätten sie nicht bis zur nächsten Ernte durchhalten können.
Der gesetzliche Zins auf landwirtschaftliche Darlehen beträgt in Persien zwölf Prozent. Ihr Grundbesitzer verlangte dreißig Prozent und zog sie jedesmal von der nächsten Ernte ab, zusammen mit dem Korn, das er ihnen geliehen hatte. So wurde ihr Anteil jedes Jahr geringer. Bis eines Tages die Darlehen und Zinsen größer waren und ihnen nichts mehr zustand. Von jetzt an bebauten sie die Erde nur noch zum Abarbeiten ihrer Schuld, die jedes Jahr größer wurde.
Der Besitzer schleppte sie vor einem Notar, vor dem sie unterschreiben mußten, das Land nicht zu verlassen, bevor sie ihre Schuld getilgt hatten. Wie hätten sie das hier machen können? Sie wurden Sklaven. Eigentum des Großgrundbesitzers — wie alle Bauern des Dorfes.
„Hören Sie“, sagte Hossein, als wir am Abend Halt gemacht hatten.
„Wenn wir von dem Besitzer Korn leihen mußten, dann war es immer viele Monate nach der Ernte, wenn die Preise hoch waren. Er berechnete es in Geld, nicht in Kilos. Als dann im folgenden Jahr zur Zeit der Ernte das Korn nur die Hälfte kostete, mußten wir ihm also doppelt so viel Gewicht geben wie er uns geliehen hatte. Dazu kamen natürlich die Zinsen.“
Seine ausgebrannten Augen bohren sich in meine: „Glauben Sie, das ist gerecht?“

Nomadenstämme ohne Romantik

Viele haben das romantische Leben der Nomaden besungen: stolzer Krieger, die auf Vollblütern über unbegrenzte Steppen jagen. In Wirklichkeit sind die Nomaden heute ein wanderndes Proletariat. Auf der Suche nach Wasser und Weiden treiben sie ihre ärmlichen Herden über Tausende von Kilometern und zahlen hohen Tribut an ihre Fürsten. In verlausten Zelten nisten Krankheit und Unwißenheit

Bauern ohne Ernte
Die Großgrundbesitzer lassen den Bauern gewöhnlich ein Viertel der Ernte. Es reicht selten zum Leben. Die Arbeitsmethoden sind primitiv (links ein Pflug) aber ein Herr seine Bauern wie Menschen behandelt, kommen sogar Nomaden ins Dorf und bitten aufgenommen zu werden (Bild rechts)

Fatima und Hossein mußten nicht nur sich ernähren. Sie hatten, wie fast alle Bauern, einige Tiere, die nicht dem Großgrundbesitzer gehörten, sondern ihnen. Zwei Schafe, eine Ziege und einen Esel. Später wurde ihnen auch ein Kind geboren. Ali, ein Sohn. Er war zehn Jahre alt, als sie Ahmadabad verließen.„Das war so“, erzählt Hossein. „Ich hatte Malaria und konnte dieses Jahr nur wenig tun. Fatima und Ali arbeiteten so viel sie konnten. Aber das genügte nicht. Der Verwalter war nicht zufrieden.“
‚Du kannst  Ahmadabad verlassen‘, sagte er mir, ‚wenn du deine Habe verkaufst und mir das Geld gibst. Das deckt zwar nicht deine Schuld, aber es soll genügen.‘ Er wollte einen gesunden Mann in mein Haus setzen. Ich mußte annehmen, sonst hätte er mich von den Gendarmen wegjagen lassen.“
So entschlossen sie sich, ihre Habe in Bargeld umzusetzen. Außer den Tieren war ja nicht viel zu verkaufen: zwei Teppiche, auf denen sie schliefen und die Fatima selber geknüpft hatte, ein kleiner Gebetsteppich, einige Schüsseln und Teller und ein paar Schuhe, die Hossein gehörten. Durchreisende Trödler nahmen es ihnen ab. Sie behielten einen Teppich und einige Tücher, um unterwegs schlafen zu können.
Alles was sie besaßen, brachte so 800 Tomans ein (330 Mark). Davon gaben sie die Hälfte dem Verwalter und machten sich mit 165 Mark auf den Weg.
Sie verließen Ahmadabad bei Nacht. Sie hatten Angst, der Verwalter würde sie durchsuchen lassen, um das restliche Geld einzustecken. Hossein trug den zusammengerollten Teppich mit den Tüchern. Fatima hatte ein kleines Bündel mit Brot und Schafskäse. Ali ging voran. Er trug eine Ziegenhaut mit Wasser.
Sie hatten sich entschlossen, nach Bander Abbas am Persischen Golf zu gehen und wollten von dort versuchen, mit einem Schiff nach Kuwait oder Bahrain zu kommen. Da gab es Arbeit in den Ölfeldern und freie Krankenpflege. Sie hatten gehört, daß viele Perser dorthin gewandert wären und gut verdienten. Nach zwei Wochen kamen sie in Bander Abbas an. Als sie am Hafen standen und die kleinen Schiffe betrachteten, die nach Saudi-Arabien und Bahrain fahren, kam ein Polizist und fragte:
„Wo seid ihr zu Hause?“
„Ahmadabad.“
„Was wollt ihr hier?“
„Nach Bahrain fahren.“
Sie wußten nicht, daß sie Pässe brauchten und eine Sondergenehmigung, um Persien verlassen zu können.
„Ihr kommt ins Gefängnis“, sagte der Polizist. „Später werdet ihr nach Ahmadabad zurückgeschickt.“
Fatima weinte. Hossein protestierte. Er sagte, daß sie nicht heimlich auf ein Schiff wollten, sondern bezahlen.
„Wie viel Geld hast du?“
„Ungefähr 250 Tomans.“(140 Mark)
Der Polizist blickte sich um und sagte: „Komm mit.“
Er führte sie in ein kleines Haus am Strand und stieß sie in ein Zimmer.
„Gib die 250 Tomans her!“
Hossein protestierte. Fatima mischte sich ein und wollte ihre Lage erklären. Der Polizist hörte nicht hin. Er nahm Hossein bei der Gurgel und schüttelte ihn:
„Halt’s Maul!“ schrie er. „Für das, was ihr gemacht habt, kommen andere Leute ins Gefängnis. Wollt ihr eingelocht werden, oder willst du mir das Geld geben?“
„Ihr habt bezahlt?“ will ich wissen.
„ Ja, ich gab ihm das Geld“, sagt Hossein. „Was hätte ich machen sollen. Ich kenne Polizisten. Als er das Geld hatte, jagte er Ali und mich aus dem Zimmer.“
Hossein hält plötzlich in seiner Erzählung inne und fährt sich müde mit der Hand über die Augen. Im Scheine unserer Petroleumlampe sieht sein Gesicht wie eine Totenmaske aus.
„Was geschah?“ frage ich.
Er antwortet nicht. Fatima springt schnell hoch und verliert sich im Dunkeln. Hossein neigt seinen Kopf zur Seite, bis ihre Schritte verklungen sind. Dann steht auch er auf und geht ihr langsam nach. Wir sitzen schweigend da. Marie-Claude holt unsere Schlafsäcke aus dem Wagen, und jeder sucht sich einen Platz für die Nacht.
Ich finde keinen Schlaf. Ich muß an Fatima und Hossein denken, die hier irgendwo in der Nacht hinter einem Stein hocken und wohl auch nicht schlafen können:
Das Ende ihrer Geschichte kenne ich. Sie hatten es schon während der Fahrt erzählt, denn man schreit zunächst immer das aus sich heraus, was am unerträglichen ist:
Als sie ohne Geld drei Tagesmärsche von Bander Abbas entfernt waren, fing ihr Sohn an zu fiebern. Sie wußten nicht, was er hatte. Bald konnte er nicht mehr gehen. Hossein trug ihn zunächst. Aber sie hatten nur noch wenig zu essen. Sie waren alle zu schwach, um weiterzugehen. Und sie wollten doch bis Tscharun kommen, wo Arbeitskräfte für die Apfelsinenernte gebraucht wurden. Auch sie waren dem Mann begegnet, der uns um Zucker gebeten hatte. Er gab ihnen einige Kräuter, aber es half nichts. In der Nacht vor unserer Ankunft war Ali gestorben Hossein hatte Wasser herbeigeschafft, um ihn zu waschen, wie es seine Religion verlangt. Dann hatten sie ihn begraben.
Das ist die Geschichte von Ali, Hossein und Fatima, von drei Menschen, die die heiligsten Namen der mohammedanischen Religion tragen. Und wenn sie mir hier in dieser wundervollen Nacht, unter dem Sternenhimmel des Südens unglaublich erscheint, so weiß ich doch, daß es sich nicht um ein ausgefallenes Einzelschicksal handelt, sondern um das Schicksal der meisten Bauern Persiens.
Sie leben wie Hossein und Fatima. Auch ihr Anteil an der Ernte beträgt dreißig, oft sogar nur fünfundzwanzig Prozent. Viele sind hoffnungslos verschuldet, weil der Ertrag selten ausreicht, sie ein ganzes Jahr lang zu ernähren.

Hütten aus Lehm sind die Behausungen der meisten Bauern. Fensterlose Ställe ohne Möbel, in denen Kinder und Hühner, Erwachsene und Ziegen durcheinander leben und auf der Erde schlafen. Man versteht, daß die Nomaden noch nicht seßhaft werden wollen und lieber in ihren Zelten bleiben, die der Wind sauberfegt.

Runde Zelte gibt es nur an der russischen Grenze. Hier leben die Turkmenen, die mit Dschingis Khan aus Zentralasien kamen und auf ihren zähen Pferden die Welt überrannten. Heute können sie nicht mehr wandern. Der Eiserne Vorhang versperrt den Weg nach Norden. Sie sind verurteilt seßhaft zu werden oder zu verhungern

Persien lebt nicht vom Öl, wie immer wieder angenommen wird. Dieses Öl hat sämtliche politischen und sozialen Probleme in ein falsches Licht gerückt, weil es die Aufmerksamkeit der Welt auf sich gezogen hat. Persien lebt von seiner Landwirtschaft. Fünfzehn von den zwanzig Millionen Persern sind Bauern. Ihr Jahreseinkommen beträgt rund 7000 Tomans (400 Mark). Einige tausend Herren besitzen das Land, das diese fünfzehn Millionen bebauen. Sie leben meistens in den Städten und machen Geschäfte.
Auf den Dörfern gibt es selten Schulen, noch seltener Krankenhäuser oder Ärzte. Jedes zweite Kind stirbt an Würmern, Darmkrankheiten oder Unterernährung. Der Gendarm ist kein Beschützer. Er verlangt Bezahlung und lebt von den Bauern.
Man braucht nur die Zahlen zu vergleichen, um zu verstehen, daß es nicht die Ölfelder sein werden oder die wenigen hunderttausend Industriearbeiter, die die Zukunft Persiens bestimmen. Auch nicht die tausend reichen Familie mit den 300.000 uniformierten Hütern ihrer Ordnung. Die fünfzehn Millionen zerlumpter, verhungerter, versklavter Bauern werden eines Tages das Schicksal Persiens in ihrer rauhen Hände nehmen. – Was dann passiert, kann sich jeder vorstellen.
Kleine Kostproben davon hat es schon gegeben. Karim, ein Bauer aus dem Südosten Persiens, erzählte uns, wie Revolutionen entstehen können:
Eines Abends – es war Herbst, und sie hatten nicht viel zu tun – saß er mit einigen Freunden vor seinem Haus. Irgendwo brüllte das Radio. Sie hörten nicht richtig hin. Viel interessanter schien ihnen die Handlung des Filmes zu sein, den einer von ihnen vor einigen Tagen in der Stadt gesehen hatte.
Aber plötzlich horchten sie auf. Im Radio sprach man von ihnen, von den Bauern. Der Schah sagte: „Im Grunde gehört das Land denen, die es bebauen“, oder etwas Ähnliches. Sie schauten sich erschrocken an. Was sollte das heißen? Sie konnte nicht wissen, daß es sich um eine der vielen leeren Propagandareden handelte, mit denen Teheran versucht, die wachsende Unruhe der Landbevölkerung zu beschwichtigen. Und plötzlich glaubten sie, was sie hörten. Sie glaubten ihrem innigsten Wunsch. Von allen Seiten rannten sie zusammen.
„Habt ihr’s gehört“, rief einer, „das Land gehört uns.“
„Ja, er hat es wirklich gesagt“, riefen andere. „Der Schah selber hat es gesagt. Wir haben’s gehört.“
„Komm, laß uns mit ihnen gehen“, sagte der Mann, der aus der Stadt kam und den Film gesehen hatte, und er führte Karim in die Mitte der Menge. Sie wälzte sich jetzt zum Hause des Verwalters. Sie rief ihn heraus und verkündigten ihm die kaiserliche Botschaft. Er lachte nur und sagte, sie sollten sich nach Haus scheren.
Aber wir haben es gehört. Alle. Auch Manutscher der Dorfälteste“, riefen sie. „Laß uns darüber sprechen.“
Immer mehr Bauern drängten sich vor dem großen Haus. Auch die beiden im Dorf stationierten Gendarmen waren von dem Lärm angezogen worden. Sie stellten sich neben den Verwalter und entsicherten ihre Gewehre. Der ging einen Schritt vor, schlug den am nächsten stehenden Bauern mit einem Stock nieder und schrie:
„Geht sofort alle nach Hause, oder ihr krepiert alle!“
Die Gendarmen stießen mit ihren Gewehrkolben zu. Ein anderer Mann lag am Boden und blutete.
„Wir wurden zornig“, erzählte Karim. „Wir schrien gegen die Gendarmen, gegen die Verwalter. Wir verfluchten den Schah und den Besitzer unseres Dorfes. Und plötzlich schrie einer: „Mossadeq. Wir wollen Mossadeq!“
Es war das einzige Symbol des Widerstandes, das ihnen einfiel. Alle stimmten ein.
Da fielen die ersten Bauern unter den Schüssen Gendamem. Auch aus dem Haus schoß der Sohn des Besitzers mit einem Jagdgewehr. Sechs Bauern lagen jetzt am Boden.
Karim schaut mich traurig an. Ein geheimer Stolz glüht aus seinen Augen, als er sagt: „Wir konnten es nicht mehr aushalten. Keiner hatte mehr Angst ums eigene Leben. Wir töteten sie alle. Die Gendarmen, den Verwalter, den Sohn des Besitzers und seine Frau. Als wir fertig waren, konnte man sie nicht wiedererkennen. Jeder von uns steckte seine Hand in ihr Blut, um es unseren Frauen zu zeigen.“
„Warum?“
Er schaut mich verständnislos an.
„Warum, willst du wissen. Weißt du denn nicht, was sie täglich mit uns tun?“
Am nächsten Tag kamen die Gendarmen aus der Stadt und nahmen die Männer mit. Auch Karim wurde abgeführt. Er blieb zwei Jahre im Gefängnis. Acht Bauern kamen wieder nach Hause.
„Was haben sie mit dir gemacht?
„Sie haben mich geschlagen. Dann wollten sie wissen, ob ich russisch spreche oder arabisch. Sie fragten, wer im Dorfe die kommunistischen und ägyptischem Sender hörte. Als ich ihnen sagte, wir hätten eine Rede unseres Schah gehört, schlugen sie mich nieder.“
Wenn man in Teheran von den Bauern spricht, schauen die Herren einen mißtrauisch an. Es gehört zum schlechten Ton, genau wie es in Rusßland vor der Revolution unschicklich war, über die Muschiks zu sprechen.
„Das müßt ihr uns überlassen“, sagten sie, „wir wissen, wie man mit ihnen umgehen muß. Analphabeten erzieht man mit dem Knüppel.“
Wenn man ihnen dann sagt, daß die Bauern unruhig würden, weil sie sich ihrer Lage bewußt seien, dann werden sie böse:
„Ihr müßt hoffnungslos pervers sein oder Kommunisten, sonst würdet ihr mit diesem stinkenden Pack gar nicht reden.“
Wenn sie von sich aus schließen, haben sie recht, denn sie tun es nie. Ich habe kaum einen Perser der guten Gesellschaft getroffen, der sein Land kennt. Reisen bedeutet für sie Europa oder Amerika, eventuell noch Beirut im Libanon, wo es mehr Nachtlokale pro Quadratkilometer gibt  als irgendwo sonst in der Welt. Das können Sie natürlich nicht finden, auch in keiner der persischen Städte außer in Tehran.
Wenn man ausländische Diplomaten in Tehran nach ihrer Meinung über das Problem der Bauern fragt, erhält man die Antwort, die man sich weiterreicht, seit Gobineau dort französische Botschafter war.
„Persien ist ein armes Land. Die Bauern leben seit Jahrhunderten so. Warum sollte sich das ändern?“
Zunächst ist Persien laut UNO-Berichten eines der reichsten Länder überhaupt. Und dann hat sich etwas Entscheidendes geändert: Die Welt ist kleiner geworden. Ein persisches Dorf ist heute nicht mehr eine völlig isolierte Gemeinschaft von Menschen, deren einziger Kontakt mit der Umwelt der Grundbesitzer oder der Verwalter ist. Mit dem Radio ist die ganze Welt in ihr Leben geplatzt und hat den herkömmlichen Rahmen gesprengt. Es gibt keine Ruhe mehr, denn jetzt können sie vergleichen: ihr Schicksal mit dem der anderen.

Wir wollen Kommunisten sein

Trödler kommen zu ihnen, und Lastwagen haben die Karawanen abgelöst. Die Chauffeure sind aus Teheran und erzählen, was anderswo los ist. Es ist kein Geheimnis, daß die meisten von ihnen Kommunisten sind. Agenten der verbotenen Tudeh-Partei, die hier, wie man es früher auch in China machte, ihre Propaganda nicht auf die noch unentwickelte Industrie, sondern auf die Bauern konzentrieren.
Auch der russische Sender in persischer Sprache wird von allen gehört. In den meisten Dörfern gibt es ein oder zwei Radios, die in Teehäusern stehen, wo Chauffeure und Reisende Halt machen. Als wir vor einigen Jahren durch Persien reisten, hörte man wahllos Musik. Heute warten die Bauern, bis Radio Melli (der russische Sender) spricht. Dann drehen sie auf und werden still.
Früher gab es nur eins, was die meisten Perser zur gleichen Zeit taten: beten. Heute wird viel weniger gebetet. Dafür hören Millionen zur gleichen Zeit die gleichen Nachrichten.
Das hat sich in Persien geändert. Die Bauern sitzen nicht mehr um einen Derwisch herum, der Gedichte über die Größe Persiens vorträgt oder den Koran erklärt. Sie lauschen mit leerem Magen einer anonymen Stimme, die von Hunger spricht, von ihrem Hunger und Menschen dafür verantwortlich macht, nicht die Vorsehung oder den Teufel, sondern Männer, die man mit Namen nennt und die in Teheran wohnen: Prinzen, Generale, Minister, den Kaiser.
Wir haben systematisch siebzehn Dörfer besucht, um die Bauern nach ihrer politischen Meinung zu befragen. – Sie zeigten uns ihre ärmliche Lehmhütten, fensterlose Ställe, in denen Schafe, Hühner, Kinder und Erwachsene zusammenleben und auf der Erde schlafen. Sie zeigten uns die Kuhfladen, die in der Sonne trocknen, um als Brennmaterial zum Kochen und Heizen benutzt zu werden.
„Und das in einem Land, wo mehr Öl als Wasser fließt“, sagten sie.

Nach drei Wochen Schmerzen kam endlich der Mann mit der Zange. Er ist kein Zahnarzt. Er ist nur ein Krankenwärter, aber er hilft. Es sieht primitiv aus, aber hier ist es fast ein Wunder: Die Fürsorge eines fortschrittlich denkenden Besitzers hilft dort, wo die Regierung versagt. Er schickt Pfleger und Hebammen in die Zelte der vorbeiziehenden Nomaden

Sie zeigten ihre Kinder, die krank und elend aussahen. Und die meisten sprachen wie Ghodrath, der Dorfälteste aus Nourabad.
„, Allah will, daß die Menschen gleich sind“, sagt er, „deshalb wollen wir Kommunisten werden.“
„Kommunisten?“
„Ja, Herr, richtige Kommunisten, wie die da drüben.“ Seine Hand zeigt stolz nach Norden, wo zwölfhundert Kilometer russischen Grenze auf Persien drücken. „Dort sind sie alle gleich.“
„Genauso gleich wie die Steine eines Weges, über den eine Dampfwalze gefahren ist“, sage ich. „Aber warum wollt ihr es werden? Kommunist ist man, oder man ist es nicht.“
Er schüttelt den Kopf. „Nein Herr, wir sind ja nicht gleich. Wir wollen es erst werden.“
Ich erkläre ihm, daß der Kommunismus eine politische Wahl ist und krame alle Argumente heraus, die im Westen geläufig sind. Ich spreche von Recht, von Freiheit und Würde.
Er hört geduldig zu. „Agadschun, mein lieber Herr“, sagt er dann, als spreche er zu einem Kind, das noch nichts vom Ernst des Lebens versteht. „Agadschun, wir haben kein Recht, keine Freiheit, keine Würde. Wir haben sie nie gekannt. Darum können wir sie nicht verteidigen. Unser Kampf beschränkt sich auf das tägliche Brot. Es geht nur um dieses. Deshalb kann unser Gedanke nur einer sein: keinen Hunger mehr zu haben.“
Und wieder zeigt seine Hand nach Norden: „In Rußland lebten die Menschen vor vierzig Jahren genau wie wir hier, und heute hat jeder genug zu essen.“
„Aber die sind Sklaven“, rufe ich, um wenigstens ein Argument zu finden, das seinen Vorstellungen entspricht.
„Vielleicht“, lächelt er, „aber Sklaven, die essen. Wir sind Sklaven, die hungern.“
Viel hundertmal haben wir diese Worte gehört. Viele Männer fügten noch hinzu: „Und selbst das reichste Volk der Erde, die Amerikaner, haben heute Angst vor Rußland. Nur wer richtig ißt, kann stark sein.“
Es bedarf einer gewissen Anstrengung, sich in die Lage der persischen Bauern zu versetzen. Wenn es einem gelingt, begreift man, wie töricht es ist, von diesen Menschen zu verlangen, die ideologischen Auseinandersetzungen zwischen West und Ost aus unserer Perspektive zu sehen. Außer dem nackten Leben haben sie nichts zu verlieren, gar nichts.
Solange man ihnen die menschliche Würde und die politischen Sicherheiten vorenthält, in deren Namen der Westen den Kommunismus ablehnt, solange wird man nicht von ihnen verlangen können, daß sie „westlich“ denken. Und genau so lange wird soziales und wirtschaftliches Elend das einzige politische Kapital sein, das in Persien Zinsen trägt. Mit diesem Kapital arbeiten die Russen erfolgreich.

Sowjetische Mekkapilger als rote Mannequins

„Unsere Religion ist ein Bollwerk gegen den Kommunismus“, sagte man uns in Teheran. „Und im übrigen sind die Bauern an der Macht beteiligt wie jeder andere: Wir sind eine Demokratie mit allgemeinem Wahlrecht.“
Wenn solche Meldungen nicht das Arsenal kritiklos nachgeplapperter Gemeinplätze ausmachten, verdienten sie nicht erwähnt zu werden. Der islamische Glaube kann kein Hindernis gegen den Kommunismus sein, denn er spricht von Gleichheit, von sozialer Gerechtigkeit und Verbrüderung. Selbst das Schreckgespenst religiöser Verfolgungen bleibt hier ohne Wirkung, denn die – für den einfachen Mann überprüfbaren Tatsachen sprechen dagegen: In Rußland gibt es eine der größten islamischen Universitäten, zu der Studenten aus allen mohammedanischen Ländern eingeladen werden. Und in Mekka nimmt die Zahl der russischen Pilger von Jahr zu Jahr zu. Hier stolzieren sie mit ihren guten Anzügen, ihren soliden Koffern und modischen Sonnenbrillen durch die Menge armer Pilger aus Persien und werden zum verführerischen Symbol des Wohlstandes und der Toleranz. Daß sie sich Mohammedow nennen, statt kurz Mohammed, ist ohne Bedeutung.
Mit der ‚Demokratie‘ ist es ähnlich. In den persischen Dörfern sehen freien Wahlen ungefähr so aus: Der Besitzer treibt die Bauern zusammen und befiehlt ihnen, für seinen Kandidaten zu stimmen. Oder Soldaten erscheinen mit einer kleinen Holzkiste und Stimmzetteln, auf denen bereits der Name des offiziellen Kandidaten steht. Dann stellen sie die Bauern in Reih und Glied auf, und einer nach dem andern muß seinen Zettel in die scharf bewachte Urne werfen. Wer widerspricht, wird geschlagen, kommt ins Gefängnis oder verliert seine Arbeit.

 Wir träumen von Brot — sagt uns diese Bäuerin, die acht Kinder gebar, von denen drei überlebten. Sie haben zwar wundervolle Augen, aber ihre Bäuche sind geschwollen, ihre Mägen leer. Die Hand des zehnjährigen Mädchens (links) könnte einer Frau von fünfzig Jahren gehören. So abgearbeitet ist sie

Bäcker backen Brot — nur in den Städten: dünne Fladen, die vor den Geschäften baumeln oder wie Pfannkuchen aufgestapelt werden. In den Dörfern gibt es keine Bäcker. Es gibt auch keine Schlosser oder Schreiner. Auf dem Land muß jeder alles selber machen. Sie haben kein Geld für Handwerker


Daß diese Menschen mit dem Kommunismus liebäugeln, ist nicht verwunderlich. – Diese Tatsache scheint jenen recht zu geben, die Persien ausschließlich unter dem Gesichtspunkt strategischer Sicherheit betrachten und deshalb die augenblicklichen Machthaber unterstützen und bewaffnen, damit Sie weiterhin mit Gewalt die Bauern davon abhalten, ihre Wünsche zu verwirklichen. Was natürlich automatisch zu noch  mehr Revolte treibt und stärkere Unterdrückung notwendig macht. Es scheint ein Teufelskreis zu sein, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Und doch gibt es eine Lösung. Wir haben in Persien Männer getroffen, die in ihrem Bereich Reformen durchführen, die die Alternative „Kommunismus oder Feudalherrschaft“ aus der Welt schaffen. Es sind Großgrundbesitzer, ganz wenige noch, die versuchen, ihre Bauern aus der Versklavung herauszuführen.
Von allen hat uns einer, den wir Jamschid nennen wollen und dessen Bestrebungen wir seit 1952 verfolgen, am stärksten beeindruckt. In acht Jahren hat er nicht nur die wirtschaftlichen Verhältnisse seines Dorfes grundlegend verändert. Er hat ganz einfach eine neue Welt geschaffen.
Zunächst erhöhte er den Ertragsanteil der Bauern von dreißig auf fünfzig Prozent. Den Erlös aus den restlichen fünfzig Prozent benutzte er zum Bau eines Krankenhauses, einer Schule und neuer Häuser, in denen endlich Menschen und Tiere getrennt wohnen. Er kaufte einen Traktor, richtete eine elektrische Zentrale ein, bestritt die Kosten des Krankenhauses, in dem jeder kostenlos behandelt wird, und veranlaßte, daß die Kinder in die Schule gehen.

Wer Bauer befreien will, gilt als Verräter

Sein Experiment begann 1952. Zu jener Zeit produzierte sein Dorf nicht mehr als irgendein Nachbardorf gleicher Größe. Drei Jahre später besuchten wir ihn wieder. Jetzt war der Ertrag seines Dorfes mit 110 Familien fast doppelt so groß wie der Gesamtertrag von zehn Nachbardörfern, in denen 650 Familien nach herkömmlicher Art lebten und jeder  Bauer nicht mehr als fünfundzwanzig oder dreißig Prozent der Ernte erhält. Die Erklärung?
„Sie ist einfach“, sagten uns die Bauern. „Dort arbeiten 650 Familien für zehn Großgrundbesitzer. Sie haben keine Zukunft. Wir dagegen wissen, daß wir für uns arbeiten.“
Das Bewußtsein ihrer Beteiligungen, die Möglichkeit, zur Schule zu gehen und sich im Krankenhaus pflegen lassen zu können, die Tatsache, daß sie ständig an der Verbesserung ihrer eigenen Lebensbedingungen mitwirken, hatte diesen Männern ein Verantwortungsgefühl gegeben und eine Freude am Leben, die sich in ihrer Arbeit widerspiegelt.

Vor fünf Jahren lebte diese Frau mit ihrem Vieh in einer Lehmhütte und konnte uns nicht sehen. Jetzt fanden wir sie in einem richtigen Haus, in dem Tiere und Menschen getrennt sind. Und sie hatte eine Brille.Auch sie verdankt das der Fürsorge eines Mannes, der seine Bauern nicht ausbeuten will

Seit man sie für ihre eigene Zukunft verantwortlich gemacht hat, fühlen sie sich endlich  als Menschen. Der Besitzer hat seit langem verboten, daß man ihm die Hand küßt oder sich vor ihm zu Boden wirft, wie es noch von vielen Herren verlangt wird. Selbst Haltung und Gang diese Männer sind anders geworden und unterscheiden sich von den Bauern aus den Nachbardörfern.
Dieses Jahr haben wir das Dorf wieder besucht. Wir haben es kaum wiedererkannt. Fünfhunderttausend Bäume sind gepflanzt worden. Die Männer haben Fahrräder, die Frauen schönere Kleider. Alle begrüßten uns freudig und schleppten uns in ihre Häuser, um uns die Neuerungen zu zeigen, denn sie wußten, daß wir wieder einmal zur „Kontrolle“ gekommen waren.
Jetzt hat jede Familie zwei Zimmer und eine kleine Veranda zum Kochen. Zum erstenmal sehen wir Möbel in einem Bauernhaus – und Wecker. Jetzt will man wissen, wie spät es ist, denn endlich hat die Zeit einen anderen Sinn als das langsame Gleiten in den Tod.
Anstelle des kleinen Traktors von 1952 finden wir sieben Traktoren, zwei Dreschmaschinen und eine modern eingerichtete Werkstatt.
Aber das Wichtigste: Dieses Jahr werden die Ernteanteile neu verteilt. Jeder Bauer bekommt seine fünfzig Prozent. Der Besitzer behält nur zehn Prozent. Die restlichen vierzig Prozent werden von ihm und den Bauern gemeinsam verwaltet. Von jetzt ab sind sie direkt für das Wohl ihrer Gemeinde verantwortlich. Sie entscheiden über ihre Zukunft. Sie werden Bürger.
Dieses Dorf ist mittlerweile zum reichsten Dorf der Provinz geworden. Die Qualität der Erzeugnisse ist so außerordentlich, daß ganz Persien versucht, hier die Saat zu kaufen. Das Jahreseinkommen einer Bauernfamilie beträgt, abzüglich Essen, 3600 Romans (2000 Mark), während sonst das Durchschnittseinkommen der Bauern um 400 Mark im Jahr liegt und selten für Nahrung und Kleidung ausreicht. Und all das wurde in acht Jahren erreicht.
Um sich ganz seiner Aufgabe widmen zu können, hat unser Freund sein Haus in der Stadt aufgegeben und ist zu den Bauern gezogen. Täglich sitzen sie zusammen und planen die Zukunft. Sie wissen, daß das Land ihrer Gemeinde nicht ausreicht, um Kind und Kindeskindern Arbeit zu geben. Deshalb machen sie neues Land urbar und pflanzen Obstbäume, um später eine Konservenfabrik zu errichten, die die überschüssigen Arbeitskräfte aufnimmt. Sie studieren den Anbau von Hopfen und Gerste und wollen auch eine Brauerei einrichten.
Die Bauern sprechen leidenschaftlich von der Zukunft, aber keiner wünschte mir den Kommunismus herbei. Wenn als Trödler oder Chauffeure verkleidete Propagandisten kommen, werden sie einfach aus dem Dorf gejagt.
Das Experiment dieses Mannes stößt alle Behauptungen um, die die Ausbeutung der persischen Bauern auf die Armut des Bodens und den Mangel an Mitteln zurückführen wollen. Es klagt jene an, die ihre Unterdrückungsmethoden damit entschuldigen wollen, daß sie Sicherheit und Ruhe um jeden Preis brauchten, um der Herausforderung des Kommunismus begegnen zu können.
Wirkliche Sicherheit garantieren nur zufriedene Menschen, die im gegebenen Fall selber kämpfen, weil sie etwas zu verteidigen haben. Das Experiment entkräftet auch jene wirtschaftlichen Theorien, die alle Probleme auf nationaler oder kontinentaler Ebene erfassen wollen und in einem Durcheinander von Stahl, Rohren, Statistiken und Hochöfen den einzelnen Menschen vergessen, um den es ja letzten Endes geht.
In wenigen Jahren und ohne besondere Ausgaben und Mittel hat dieser Organisator ein Arbeitslager in eine Gemeinde freier Menschen verwandelt. Wieso? Weil er die Bauern von der Furcht befreit hat. Furcht vor Krankheit und Hunger. Furcht vor dem Herrn und den Gendarmen. Furcht vor der Zukunft.

In zwei Tagen impfte dieser Krankenwärter siebzig Nomadenkinder gegen Pocken. Er mußte mit dem Jeep fahren, auf Eseln reiten, über Felsen klettern, um die zerstreut liegenden Zeltlager zu erreichen. So versucht private Hilfe dort zu wirken, wo weglose Einsamkeit oft zum Tode verurteilt

Der Preis dieses Unternehmens? Haß und erbitterte Feindschaft der anderen Besitzer, jener Mehrheit, die am alten System festhalten möchte und Persien regiert. Sie haben Überfälle organisiert und Mörder gedungen. Aber wie durch ein Wunder ist Jamschid, unser Freund, jedesmal gerettet worden. Das letzte Attentat wurde vor zwei Jahren verübt. Heute ist die Gefahr geringer, denn alle Bauern der Provinz stehen hinter ihm, weil sie in seinem Werk eine Hoffnung für ihre Zukunft sehen.

Die Reichen merken nicht, daß sie sich selber vernichten

Natürlich werden sich die Armen durch dieses Beispiel brutal ihrer Lage bewußt. Sie träumen von besserem Leben und weniger harten Herren. Aber ist nicht gerade dieses Beispiel die einzig mögliche Antwort auf die schleichende Revolte, die den verschuldeten Bauern unweigerlich in die Arme des Kommunismus treibt? Ist es nicht auch dieses Beispiel, das man nachahmen und unterstützen sollte, in allen Teilen der Erde, die wir Entwicklungsländer nennen?
Ein amerikanischer Diplomat, den ich hierher gebracht habe, sagt am Ende seines Besuches:
„Wir müßten die Unwissenheit bekämpfen, die solche Experimente erschwert oder unmöglich macht. Und so paradox es auch klingen mag, der Kampf gegen die Unwissenheit muß nicht bei den armen Analphabeten beginnen, sondern bei den Machthabern. Sie haben ihren Egoismus als politische Notwendigkeit getarnt und uns damit auf einen Weg, gelockt der zur Katastrophe führen kann.“
Er spricht diese Sätze leise vor sich hin, als wolle er sich selber überzeugen. Plötzlich wendet er sich Jamschid zu: „Brauchen Sie Hilfe?“
„Natürlich brauche ich Hilfe“, antwortet Jamschid, aber von Ihnen kann ich nichts annehmen.“
„Warum nicht?“ will der Amerikaner erstaunt wissen.
„Weil dann meine ganze Aktion ihren Sinn verlieren würde. Die Bauern wissen, daß ich all dies nicht gegen etwas tue, sondern für sie. Das ist das Entscheidende. Sie wissen, daß ich sie nicht davon abhalten will, Kommunisten zu werden, sondern ganz einfach versuche, ihnen zu einem menschenwürdigen Dasein zu verhelfen.“

Wir wollen nicht gekauft werden

„Warum können wir da nicht mitmachen?“
„Weil eure Hilfe sofort politisch ausgelegt würde, das heißt vom Egoismus bestimmt. Was sie ja auch wäre … die Bauern wissen, daß ihr ihnen nicht ihretwillen helfen wollt, sondern um eurer Sicherheit willen. Und vergessen Sie nicht, man haßt schließlich immer jene, die Almosen geben. Man muß den Eindruck haben, aus eigener Kraft einen Platz an der Sonne zu haben.“
„Was sollen wir denn machen?“ fragt der Amerikaner enttäuscht.
„Das kann ich Ihnen schwer sagen“, erwidert Jamschid. „ich weiß nur, daß die Hilfe des Westens soweit wie möglich entpolitisiert werden muß, wenn sie Früchte tragen soll. Ich könnte hier zum Beispiel junge Menschen aus Europa oder Amerika brauchen, Ärzte, Techniker, Sozialhelferinnen, die den Menschen zeigen und vorleben, daß man kranke Augen nicht mit verfaultem Wasser waschen darf  oder Motoren besser mit Schrauben repariert als mit rostigem Draht. Aber diese Menschen dürften nicht von irgendeiner Organisation geschickt werden, zu den getarnten Waffen des Kalten Krieges gehört, sondern müßten aus freien Stücken selber kommen.° Er blickt uns herausfordernd an. „Glaubt ihr nicht, daß es bei euch noch junge Menschen gibt, die ein oder zwei Jahre nach Persien oder nach Afrika kommen möchten? Nicht nur, um zu helfen und zu lehren. Nein, um selber zu lernen. Sie würden dem Westen einen besseren Dienst erweisen als alle Diplomaten, Geschäftsleute und alle militärischen Berater zusammen, denn sie wären aus menschlichen Gründen hier und nicht aus politischen.“

In nächsten Heft:

Zwei Pfeifen Opium

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