Skip to content
  • Deutsch
  • English
  • Français

Wo Araber auf Araber schießen (Libanon)

Stern, Heft 45, 2. November 1969

Heute ziehen sich die Mädchen vor leeren Tischen aus. Die Nabel der Bauchtänzerinnen drehen sich vergebens, und die Taxichauffeure schlagen sich um Kunden. Beirut, das mehr Nachtlokale pro Quadratkilometer zählt als irgendeine andere Stadt, ist ausgestorben. Die Emire aus Kuwait und die Prinzen aus Saudi Arabien fühlen sich nicht mehr sicher. Die Touristen bleiben aus. Auch das Geld wandert ab. Denn der schwelende Krieg im Nahen Osten hat auch die letzte friedliche Oase ergriffen.

Bis vor kurzem noch schossen die Wolkenkratzer in Beirut wie die Pilze aus dem Boden. Im kleinen Libanon (2.,5 Millionen Einwohner) sammelte sich das Kapital, das aus den unsicheren, arabischen Nachbarländern floh. Es verhalf dem Land zu einem phantastischen Aufschwung. Zwar gehörte auch der Libanon zur arabischen Liga und mußte ein wenig gegen den Imperialismus wettern und mit Israel offiziell auf Kriegsfuß leben. Aber die führende christliche Minderheit sorgte für einen pro westlichen Kurs, der dem Großteil dieses geschäftstüchtigen Volkes genehm wach. Dieser Balanceakt zahlte sich aus: Friede, Wohlstand und die einzige Grenze mit Israel, an der es lange ruhig blieb.

Über Nacht hat sich die Szene verdüstert: Friede und Wohlstand sind gefährdet. Im Libanon schießen Araber auf Araber. Die Nachbarstaaten drohen mit dem Einmarsch, um das Land endgültig in die Einheitsfront gegen Israel zu zwingen. Die Überlebenschancen des unabhängigen Libanon hängen an einem seidenen Faden.

Die Krise nahm ihren Anfang im letzten Jahr. Arabische Guerillas der El-Fatah, die “Feddajin“, nisten sich in den Bergen an der israelischen Grenze ein und bildeten bald einen Staat im Staate. In Beirut selbst unterhielt die Terrororganisation „Volksfront zur Befreiung Palästinas“ ein Büro. Das wurde dem Libanon zum Verhängnis: Nachdem die „Volksfront“ ein Attentat auf ein israelisches Verkehrsflugzeug verübt hatte, griffen israelische Fallschirmjäger am 28. Dezember 1968 im Handstreich den internationalen Flughafen von Beirut an und zerstörten die halbe Luftflotte der libanesischen „Middle East Airlines“.

Das Unternehmen enthüllte die Schwäche der libanesischen Regierung und ihrer Armee. In Massendemonstrationen forderten Studenten den Rücktritt der Regierung und volle Aktionsfreiheit für die arabischen Guerillas auf libanesische Territorium. Einen halbherzigen Versuch der Armee, die Guerilla Stützpunkte auszuhebeln, vereitelten die “Feddajin“,, die von Syrien und vom Irak unterstützt werden.

Ein halbes Jahr lang schwelte diese Krise weiter, dann fühlte die 10.000 Mann-Armee sich stark genug, abermals gegen die Guerillas vorzugehen. Es kam zu Toten, auf beiden Seiten, aber die “Feddajin“ blieben Sieger. Jetzt schloß Syrien, die Grenzen und drohte mit Bruderkrieg, falls Beirut die Angriffe auf die Guerillas nicht einstellt. Nach erneuten Massendemonstrationen mußte der libanesische Regierungschef Karame zurücktreten. Beirut gleicht in diesen Tagen einem brodelnden Vulkan kurz vor dem Ausbruch. spiel

Wir sind im Hotel Al Bustan eingeladen. 15 km außerhalb der Hauptstadt in den Bergen. Um uns kostbarster Schmuck, getragen von den Frauen der Allerreichsten dieses Landes, der Bustanis, der Sursock, der Es-Said. Sie bauen Pipelines in Libyen und Saudi-Arabien, sie besitzen Schiffe, Hotels, Eisenbahnen und Plantagen in der ganzen Welt. Sie sind sie eigentlich Betroffenen dieser Krise. Jeder Tag Unruhe kostet sie Millionen. Auch das riesige Hotel, in dem wir essen, gehört den Bustanis. Es ist leer. Trotzdem bleibt es geöffnet und dient den 14 Gästen als prunkvoller Dekor für dieses politische Gespräch. Ich.

Natürlich ist jeder gegen die Anwesenheit der arabischen Guerillas im Libanon. Die Israelis haben unmißverständlich gezeigt, daß sie gegen jeden Staat Vergeltung üben, der den “Feddajin“ Asyl gewährt. Und das kann sich die Geschäftswelt des Libanon nicht leisten. Unsere Freunde spüren die Folgen: Spannung zwischen Christen und Mohammedanern, Stagnieren der Wirtschaft, Ende des Wirtschaftswunders.

„Letztlich werden unsere arabischen Nachbarn sogar eine israelische Vergeltung zum Vorwand nehmen, um uns militärisch ´zu Hilfe ´ zu eilen. Das wäre das Ende des Libanon. Dann kämen hier die Mohammedaner an die Macht, und wir würden von den Habenichtsen der arabischen Welt geschluckt.

Unsere Schwäche wird unser einziger Schutz sein

Das erklärt eine der reichsten Frauen des Landes, von der jeder weiß, daß sie den Guerillas große Summen schenkt – wie übrigens viele christliche Führer. Aber sie fürchtet, daß die mohammedanischen Massen nicht nur für Palästinena, sondern auch gegen den Kapitalismus auf die Straße gehen könnten.

Wir fragen Raymond Eddé, den Führer, der „gemäßigten Christen“, welche Politik er vorschlägt, um die Krise zu lösen. Als langjähriger Minister und Abgeordneter hat er nie ein Blatt vor den Mund genommen und tut es auch jetzt nicht: „UNO Truppen an die Grenze. Totale Neutralität. Keine palästinensischen Widerstandskämpfer auf libanesischem Boden. Um Gottes willen keine Wehrpflicht. Wir würden uns ruinieren, ohne jemals die Chance zu haben, ein ebenbürtiger Gegner der Israelis zu werden. Unsere Schwäche wird unser einziger Schutz sein.“

Der Führer des harten, pro -palästinensische Lagers ist Kamal Jumblatt, langjähriger Minister und sicherlich die malererischste und vielleicht sogar mächtigste Figur der libanesischen Politik. Er ist der Chef der Drusen, eine mohammedanischen Sekte, die seit jeher in den Grenzgebieten des Libanon lebt. Kamal Jumblatt ist ein Feudalherr und zugleich Chef der „Sozialen Fortschrittspartei“. „Man kann sozialistischer Führer von Geburt und von Gottes Gnaden sein“, sagte er uns vor rund zehn Jahren.

Diesmal lädt er uns zum Mittagessen auf seiner Burg in den Bergen der Drusen ein. Die Räume sind nahezu unmöbliert und gänzlich ungeheizt. Jumblstt liebt Gandhi, Meditation und Askese. Böse Zungen behaupten, daß er vier Gesichter habe. Das mystische, das sozialistische, das feudalistische und das Visionäre. Heute scheint letzteres vorzuherrschen. Er sieht wie de Gaulle mit 40 aus – und benimmt sich auch so.

„Sie sind für die Feddajin und fordern sogar ihre Unterstützung. Ist das nicht eine Einladung an Israel, den Libanon zu besetzen?“ fragen wir.

„Dieie sollen nur kommen. Dann wird jeder echte Libanese zum Feddajin“, prophezeit er. „Dann haben wir endlich einen Volkskrieg, dem Israel ebenso wenig gewachsen sein wird, wie die Franzosen es in Algerien waren oder die Amerikaner in Vietnam.“

„Sie wollen also eine soziale und politische Revolution?“

„Selbstverständlich. Es gibt Libanesen, die fünfzig Millionen im Jahr verdienen., Während die meisten mit zwei bis drei Pfund (Ein libanesisches Pfund = ca. 1,15 DM) pro Tag auskommen müssen. Wir brauchen eine Revolution.“

„Ihre konservativen Gegner scheinen stark genug, das zu verhindern.“

„Die christlichen Parteien sind Werkzeuge des amerikanischen Geheimdienst es und erfreuen sich der Unterstützung Israels. Das Volk weiß es und wird entsprechend handeln.

Ewas erstaunt frage ich: „Darf ich Sie ab wörtlich zitieren?“

„Selbstverständlich“, sagt er zu mir, zu spät zu, mit gaullistischer Pose.

Camllle Chamoun, ehemaliger Staatschef und ungekrönte König der Christen, ist keineswegs beleidigt, als wir ihn bitten, zu dieser Behauptung Stellung zu nehmen.

„Jumblstt ist ein Irrer“, sagt er.

„Auch das können Sie schreiben. Apropos Agenten: Wissen Sie, warum ich in den letzten Jahren nicht mehr in der Regierung war? Weil unser Geheimdienst dagegen ist. Jawohl, Monsieur. Mit Gewalt und Terror regiert in diesem Land die Armee.“

Zum ersten Mal hören wir so schwerwiegende Beschuldigungen aus dem Munde eines verantwortlichen Politiker. Es ist ein offenes Geheimnis, daß die Armee seit einigen Jahren die Macht ausübt. Heimlich und im Hintergrund gesteuert von General Chehab und vertreten durch den Geheimdienst. Aber niemand durfte darüber sprechen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. Jetzt ist das anders.

Die Verschwörung des Schweigens ist gebrochen. Die Krise hat die libanesische Gesellschaft erschüttert. Selbst die traditionellen Parteien sind in Frage gestellt, die im Grunde gar keine Parteien sind. Sie waren seit jeher nichts anderes als Organisationen rivalisierender Familien. Wie macht Bereich eines Herrn wohnt oder arbeitet, muß für ihn stimmen.

„Unsere Laster sind der Individualismus, die Anarchie, der Feudalismus, die maßlose Gewinnsucht und ein schamloser Kapitalismus“, wagt heute „Der Tag“, eine große libanesische, Morgenzeitung zu schreiben.

In dieser Lage bilden die Frddajin eine starke politische Kraft. Für viele junge Libanesen stellen sie ein Symbol der „arabischen Auferstehung“ dar. Nach drei beschämenden Niederlagen gegen Israel retten die „Heimatlosen“ die Ehre der Araber.

Immer größer wird die Kluft zwischen Christen und Moslems, zwischen

Reichen und Armen

Wie die Studenten fordern, das Ende des alten Regimes: „Der Konfessionalismus muß ausgerottet werden – diese sinnlos gewordene Proporzsystem zwischen Christen und Mohammedanern Der Präsident der Republik muß immer ein Christ sein, der Ministerpräsident ein Sunnit und der Präsident des Parlaments ein Shiit. Und so geht es die Leiter herunter, bis zum Postboten und Straßenfeger. Wir verlangen auch endlich die zivile Trauung, damit Jungen und Mädchen verschiedener Konfessionen ohne Schwierigkeiten heiraten können. Wir wollen kein versteinerter Schaukasten malerischer Sekten mehr sein, sondern eine Nation aufbauen. Und wenn es nicht anders geht, werden wir mit den Feddajin kämpfen.“

Die Armee vertraut noch immer auf die USA

Die Minister Präsident Raschid Karame ist an diesem Konflikt gescheitert. Bevor er zurücktrat, fragten wir ihn, wie er mit dem Guerillas fertig werden wolle. Er antwortete: „Wenn der starke Israel nicht in der Lage ist, die Feddajin im eigenen Machtbereich zu liquidieren, wie soll der schwache Libanon das schaffen?“

Die Armee vertraut noch immer auf die USA – wie 1958 als Washington Truppen landen ließ, um das Land vor dem Zerfall zu retten. Die „Feddajin“ aber glauben nicht, daß Amerika sich heute noch einmal in ein ähnliches Unternehmen einlassen wird: „Das würde ein neues Vietnam im Nahen Osten bedeuten.“

So sitzt Jassir Arafat, Chef der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), am längeren Hebel. Mit der Unterstützung Syriens und des Irak im Rücken erklärt er gelassen: „Wir stehen im Libanon und werden dort bleiben. Niemand bringt uns wieder heraus.“ Für das kleine bedrängte Land sagen diese Worte eine düstere Zukunft voraus.

Back To Top